Film

JIM JARMUSCH – ONLY LOVERS LEFT ALIVE (FILM)

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only-lovers-left-alive_stills_13Manche Figuren gehören fest zum Kino. Der Cowboy, der Geheimagent, der Superheld und natürlich der Vampir. Sie und das Kino leben in Symbiose, erhalten sich gegenseitig am Leben. Geschichten mit ihnen sind leicht erzählt, denn das schwierigste an einer guten Geschichte sind gute Charaktere. So wurden sie allerdings auch nach und nach zu einer Karikatur ihrer selbst, der Vampir wurde im Kino zuletzt als Vehikel evangelikaler Sexualmoral missbraucht. Zum Glück erfindet sich das Kino fortwährend neu und es ist schon sehr ironisch, dass ausgerechnet einer der Könige des Independent Films eine Figur rettet, die das ihm verhasste Hollywood erst aufgeputscht und dann zerfleddert hat. Jim Jarmusch gibt dem Vampir seine Seele zurück. ‚Only Lovers Left Alive‘ ist eine perfekt komponierte Vintage-Symphonie, in der Bild und Ton zu einem Kunstwerk verschmelzen, das mit Jarmuschs typisch lakonischem Humor der menschlichen Gesellschaft ihre Kurzsichtigkeit vor Augen hält.

Eve und ihr Lebenspartner Adam leben das Leben so, wie man es im Angesicht der ewigen Existenz wohl nur leben kann: Zurückgezogen, auf schöne Essenzen beschränkt, mit der Kunst der vergangenen Jahrhunderte, sie im marokkanischen Tanger, er in einem verlassen Industrieteil von Detroit. Schon ewig ein Paar leben die beiden Vampire die meiste Zeit getrennt, Eve als Schöngeist für Kunst und Literatur, Adam als Misanthrop und Gitarrenvirtuose. Blut bekommen sie von bestochenen Ärzten und trinken es aus Kristallgläsern, das Töten von Menschen ist für sie schon lange verpönt. Sie leben in der Zeitlosigkeit, Trends und Moden berühren sie kaum, aus jeder Zeit nehmen sie Kleinigkeiten mit und lassen das Meiste ungerührt links liegen. Eve tippt auf einem Smartphone, während sie ein antiquarisches Original durchblättert, Adam ist unter anderem für die meisten Stücke Franz Schuberts verantwortlich und nimmt heute mit analoger Technik einsame Gitarrenriffs auf. Um ihn aus seiner Depression zu holen, nimmt Eve einen Nachtflug nach Detroit und verlässt ihr hippiehaftes Umfeld.

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Das Besondere an Jarmuschs Filmen ist seine Umkehrung der Filmlogik. Es gibt schon so etwas wie eine Handlung, aber im Vordergrund stehen immer die Charaktere. Einige Zuschauer sind davon schnell überfordert und auch viele Fans konnten mit seinem letzten Film, der kaum greifbaren Spiegelungsparabel ‚The Limits of Control‘ wenig anfangen. ‚Only Lovers Left Alive‘ ist da zugänglicher, schon allein weil Adam und Eve als Paar so viel Wärme transportieren und einen sehr glaubwürdigen Blick auf die Welt aus ihrer Ewigkeitsperspektive erlauben. Die Menschen sind für das scheue Paar wie Zombies, unfähig ihren Blick zu erweitern und über den nächsten Tag hinaus zu denken. Mit poetischer Langsamkeit und herrlicher Trockenheit schauen sie Detroit dabei zu, wie es von der Natur langsam zurückerobert wird und schmunzeln darüber, wie ihr Vampirfreund Marlowe einst die Stücke verfasste, die heute William Shakespeare zugeschrieben werden. Für Menschen epochale Ereignisse, für die untoten Bohemians nur Wimpernschläge in der Ewigkeit. Jarmusch hat in seinen Filmen immer die unschönen Hinterhöfe der glänzenden Fassaden gezeigt. ‚Only Lovers Left Alive‘ zeigt die Kehrseite der ganz großen Fassade, die der Menschheit. Sie wirtschaften ihren Planeten runter, Kunst und Kultur werden immer kurzlebiger und ihr Blut ist von Medikamenten verseucht. Wenn Adam und Eve reisen, dann nennen sie sich Stephen Dedalus und Daisy Buchanan, denn sie rechnen nicht damit  jemanden zu treffen, der die epochalen Romane von Joyce und Fitzgerald noch kennt, obwohl sie keine hundert Jahre alt sind. In Adam und Eves Augen sehen die Menschen in Raum und Zeit nur ihre eigenen Ausschnitte.

Ein Charakterfilm kann nur mit starken Schauspielern funktionieren und das Ensemble von ‚Only Lovers Left Alive‘ brilliert bis in die letzte Nebenrolle. An erster Stelle beeindruckt natürlich Tilda Swinton, sie legt all ihre androgyne Mystik in ihre Figur und schafft damit eine losgelöste, aparte und geheimnisvolle Eve. Adam sorgt für den bissigen Sarkasmus, der die Psyche des Paares komplettiert. Für ihn kann Tom Hiddleston endlich wieder all seine Facetten zeigen, vom verschmitzten Lächeln bis zur depressiven Bitterkeit. Beide bewegen sich in einem Film, der durch das kongeniale Zusammenspiel von Schnitt, Kamera und Licht zu Musik wird, von den grandiosen Nachtaufnahmen Detroits ganz zu schweigen. Von Adams Songs bis zu den Büchern, die Eve mit auf Reisen nimmt, sorgt eine beeindruckende Detailliebe für das i-Tüpfelchen in der ewigen Existenz des Vampirs. Ein Geschenk aus dem Arthaus.

Daniel Schlechter