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AMERICAN FOOTBALL – DELUXE EDITION REISSUE (20.05.2014) + SHOWS

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1782138_10152184626072319_311968148_nIm März hat Polyvinyl Records angekündigt, knapp 15 Jahre nach Veröffentlichung das einzige Album der US-amerikanischen Indie-Band American Football neu aufzulegen. Am 20.05. erscheint eine Deluxe Edition des selbstbetitelten Albums von 1999. Zu den neun originalen Songs der Platte gesellen sich dann noch insgesamt zehn ungehörte Demos und Live-Aufnahmen.

Um die Entstehungsgeschichte so kurz wie möglich zu machen: die Band entstand 1997 zunächst als The One Up Downstairs. Es entstanden aber nur drei Songs, die erst Jahre später veröffentlicht wurden, bevor sich die Band wieder auflöste. David und Allen Johnson gingen zu Very Secretary. Mike Kinsella und Steve Lamos holten sich Steve Holmes mit ins Boot und nannten sich von nun an American Football. Es entstand eine EP und ein Jahr später das Debutalbum. Mal wieder war die Band noch vor der Veröffentlichung der LP auseinander gebrochen. Kinsella gründete mit alten Freunden Owls und später sein Soloprojekt Owen.

Neben der Neupressung der Scheibe inklusive Bonusmaterial, wurden nun auch noch zwei drei Konzerte angekündigt. Leider nur in den USA. Aber im Zeitalter der schnellen Daten, freu ich mich schon auf die vielen Youtube-Clips in mieserabler Handy-Videoqualität.

Maix Fleischer

SUNNY DAY REAL ESTATE – SPLIT-7-INCH mit CIRCA SURVIVE (19.04.2014)

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sunny day real estate splitSunny Day Real Estate waren die erste Band, die ich für mich als „Emo“ verbucht habe. Ein Begriff der Jahre später durch überambitioniert-weichgespülte Schmachtsongs und modisch-geschwungene Seitenscheitel pervertiert ist und sich davon eigentlich auch nie erholt hat. Mitte der Neunziger waren das noch von schweren Gitarrenriffs und unbarmherzigen Drumgrooves getragene Rocksongs, nah am Hardcore, jedoch melodisch und textlich gereifter. Die Themen waren sicherlich keine anderen, nur die Sichtweise änderte sich auch mit dieser Generation. Sunny Day Real Estate waren sicherlich nicht die ersten dieses musikalischen Genres, aber zweifelsohne prägend für vieles, was danach noch kommen sollte.

Als es 2001 dann zum zweiten mal hieß, dass die Band sich auflöse, konnte man sich, hoffend auf die nächste Reunion, mit genügend Material nachfolgender Projekte trösten. Ur-Bassist Nate Mendel verschaffte sich zwischen Tourplänen mit Dave Grohls Foo Fighters die Zeit, um mit seinen ehemaligen SDRE-Kollegen Jeremy Enigk (Gitarre, Gesang) und William Goldsmith (Schlagzeug) das großartige Debutalbum von The Fire Theft einzuspielen und kurzzeitig zu betouren. Gitarrist Dan Hoerner arbeitete an der zweiten EP von Dashboard Confessional mit. Und Jeremy Enigk veröffentlichte 10 Jahre nach seinem Debut 2006 sein zweites Studioalbum ‚World Waits‘.

2009 war es dann endlich wieder soweit: Sunny Day Real Estate ließen ihre Reunion verkünden. In der kompletten Originalbesetzung tourte die Band in den USA, Kanada und Australien. Es hieß, neues Material sei auf dem Weg. Doch vom Versuch, ein ganzes Album aufzunehmen, blieb lediglich ein Song, der nun gute vier Jahre später auf einer Split-7-Inch (2.500 Stück) mit Circa Survive veröffentlich wird. ‚Lipton Witch‘ heißt der Song und ist das erste neue Material der Band seit der LP ‚The Rising Tide‘ von 2000. Sunny Day Real Estate waren es vorher schon und sind es nun wieder: Geschichte.

Maix Fleischer

WYE OAK – SHRIEK (28.04.2014)

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e8cf1143Ein weiteres, absolut spannendes Duo des songorientierten Indie-Rocks kündigt für dieses Jahr ein neues Album an: Wye Oak aus Baltimore, Maryland veröffentlichen am 28./29. April (City Slang in Europa/Merge in den USA) ihr viertes Studioalbum mit dem irgendwie vertraut klingenden Namen ‚Shriek‘.

Wye Oak, das sind Jenn Wasner – Gesang, Gitarre – und Andy Stack – Schlagzeug und linke Hand gleichzeitig am Keyboard. Doch um das Ganze ein wenig aufzufrischen, gab es für das neue Album leichte Änderungen in den zu bearbeitenden Frequenzbereichen. Wasner spielt nun ausschließlich die Bassgitarre zu ihrem Gesang und neben dem Schlagzeug kümmert sich Stack am Keyboard fortan um höhere Frequenzen und Melodien. anstatt wie bisher lediglich die Bassbegleitung in die Tasten zu hauen. Sollte man sich definitiv anhören und auch ansehen. Am 25. März spielen Wye Oak im Privatclub in Berlin, Kreuzberg. Also Karten bestellen, Album kaufen, sich in Fräulein Wasner verlieben. . . meine Empfehlungen!

Der erste hörbare Titel ‚The Tower‘ groovt schon mal tierisch vor sich hin und macht sich schön breit im Stereospektrum.

Maix Fleischer

PIXIES – EP2 (EP)

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pixies ep2Die US-amerikanischen Pixies sind die heimlichen Helden vieler erfolgreicher Musiker und Bands. Schon Kurt Cobain verehrte sie und gab 1994 in einem Interview zu, dass ‚Smells Like Teen Spirit‘ sein Versuch war, mit Nirvana wie die Pixies zu klingen. Viele andere, wie Weezer, Radiohead und PJ Harvey, zollten ihren Tribut. Nun veröffentlichten die Pixies – nach vielen internen Streitereien, Drogen- und Alkoholproblemen und mehreren Trennungen – im letzten Jahr mit der ‚EP1‘ erstmals seit 1991 einen Tonträger mit neuer Musik. Ich war ein wenig enttäuscht! Auch wenn ich nicht mit der Erwartung heran gegangen bin, dass die Band noch so klingt, wie vor über 20 Jahren. In diesem Jahr gab es wieder eine EP mit vier Songs. Ich hab bisher noch nicht reingehört, werde das aber nun nachholen und meine Eindrücke zur ‚EP2‘ mit Euch und einem Pott Kaffee teilen.

‚Blue Eyed Hexe‘ klingt mit seinem stockenden Gitarrenriff, dem gepressten Gesang und simplen Schlagzeug erst mal voll nach AC/DC. Das mag Leuten gefallen, mir nicht! Sänger, Gitarrist und Songschreiber Black Francis gibt zu, was ich gerne als Ausrede sehen möchte: „The song took on different forms, different music and different sets of lyrics. It went through a lot of changes before it settled where it is now.“ Der Song ist weder innovativ, noch charakterisch. Wenigstens das schräge Gitarrensolo erinnert an die Pixies. Schade drum, das Gitarrenriff ist eigentlich cool.

Weiter geht’s mit ‚Magdalena‘: ein ausgereifter Rocksong, der zeigt, dass sich Francis über die Jahre auch gesanglich entwickelt hat. Er kann auch sanft und haucht uns mit viel Kopfstimme seine Worte entgegen: „Magdalena, just between us, oh. You’re the meanest, Magdalena, oh.“ Trotz der seichten Melodien, haben die Gitarren immer noch genug Ecken und Kanten. Alles in allem ist der Song sehr atmosphärisch und rund. Das ist in Ansätzen die Innovation und Entwicklung, die ich hören will.

Den nächsten Song instrumentieren die Pixies wieder ein Stück typischer für den Sound, den sie seit ihrer Gründung 1986 so perfektioniert haben. Jedoch wirkt ‚Greens And Blues‘ dadurch ziemlich berechenbar und glatt. Bass und Akustikgitarre tragen den Song, elektrische Gitarren ergänzen mit viel Melodie. Das Schlagzeug umrahmt das Ganze und setzt ein paar Akzente. Einzig der Gesang versucht, sich neu zu erfinden. Wohl mit fragwürdigem Erfolg: die Strophen singt Francis schwach und austauschbar. In den Refrains erkenn ich ihn erst so richtig. Tatsächlich schrieb Francis den Song mit der Absicht, ein „besseres ‚Gigantic'“ hervorzubringen. Das find ich eigentlich absurd, wenn man bedenkt, dass die Band sich im letzten Jahr von Bassistin Kim Deal trennte und Songs wie ‚Gigantic‘ erst durch ihren typischen, simplen Basssound und den direkten, unverfälschten Gesang funktioniert haben. Kein schlechter Song, aber auch kein richtig guter.

Im letzten Song wird locker gelassen und in die Instrumente gehauen. ‚Snakes‘ entstand nach Aussagen des Gitarristen Joey Santiago als Jam erst während der Aufnahmesessions für die EP. Und das hört man auch. Das ganze Arrangement ist freier; ein bisschen Schrammeln hier, ein bisschen Stampfen da. Der Refrain vervollständigt den Song mit großer Melodie und breitem Sound. Ich glaube, post-hardcor’iger werden wir die Pixies nicht hören.

Nachdem ich diese zweite EP gehört habe, gefällt mir nun die erste um einiges besser. Komische Psychologie, ich weiß. Vielleicht bin ich doch nicht so enttäuscht, wie ich bisher annahm. Vielleicht braucht es auch eine dritte EP bis ich die ‚EP2‘ so richtig gut finden kann.

Maix Fleischer

BATHS REMIXT GRIZZLY BEARS ‚WILL CALLS‘

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baths willFür Freundinnen und Freunde der verfrickelten, elektronischen Musik: Baths‚ Will Wiesenfeld hat sich eines Songs der B-Seiten-Veröffentlichung des Albums ‚Shields‘ von Grizzly Bear angenommen. Mit seinem Remix des Songs ‚Will Calls‘ outet sich Wiesenfeld sicherlich nicht nur als Fan der psychedelischen Folkpopband Grizzly Bear. Mich erinnert der Track auch an The Postal Service. Wie dem auch sei: super Song, super Remix. Und als Bitkirsche auf dem digitalen Stück Kuchen gibt es den Baths-Remix als kostenlosen Download über Soundcloud.

Maix Fleischer

DEAP VALLY – SISTRIONIX (LP)

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artworks-000060336960-frb431-originalSo wie es vor zehn Jahren das The vor dem Bandnamen war, so könnte die Formation des Duos das nächste heiße Ding im Indie sein. Spätestens seit den unvergleichlichen Japandroids ist klar: Zwei Musiker können mehr Energie haben, als AC/DC und Motörhead zusammen. Alles was es dazu braucht: Schmissiges Songwriting, Lautstärke und diese besondere Live-fast-die-young-Energie, die nur entsteht, wenn man es auch wirklich meint. Deap Vally vereinen all diese Eigenschaften und stellten sie gerade auf einer Europatour unter Beweis. Ihr fulminantes Debütalbum ‚Sistrionix‘ ist in den USA bereits Mitte des Jahres erschienen und nun endlich auch hier erhältlich.

Deap Vally sind Lindsey Troy und Julie Edwards aus dem San Fernando Valley in Kalifornien und sie spielen ihre Art von Rockmusik so, als wäre es die einzige Musik, an die je zu denken wäre. Ein pulsierender Mix aus erdigem Blues Rock, garagenverhaftetem Schweine-Rock’n’Roll und immer wieder überschäumendem, psychedelischem Space Rock à la Hawkwind. All diese Zutaten jagt Lindsey Troy durch ihre aberwitzige Fuzz-Gitarre, deren Sound schon symbolisiert, was Deap Vally so gut macht: Sie nehmen die Musik und ihre Einflüsse unglaublich ernst – sich selbst dafür kein Stück.  Die beiden Mädels spielen diesen brodelnden Mix mit einer frenetischen Leidenschaft und Aggression, die den Mund offen stehen lässt. Sie stürzen nach vorne, vom berstenden Schlagzeug getrieben und verlieren sich im nächsten Moment in dahinfließender, krautiger Blues-Improvisation. Die Produktion des Albums verzichtet dabei mit Recht auf Verschönerungen, denn die Musik ist so pur, dass sie nicht mehr geschliffen werden muss.

Songs wie ‚Your Love‘ erinnern ganz offensichtlich an die Black Keys und die White Stripes, andere Nummern tragen die Energie der ganz frühen Yeah Yeah Yeahs. ‚Walk of Shame‘ ist eine herrlich clevere, humorvolle Übersetzung von altem Blues in neuen Indie Rock und nebenbei ein knackiger Seitenhaken auf all die Mehr-Schein-Als-Sein-Girlies, die sich noch nicht aus ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit erhoben haben. Apropos: Als weibliches Duo, dass die seit Jahrzehnten von Männern dominierten Spielarten des Rocks aufgreift, kommen Deap Vally praktisch nicht um ein Statement zum Thema Gender herum. Und hier kann man nur danke sagen. Kim Gordon und womöglich sogar Judith Butler wären stolz: ‚Gonna Make My Own Money‘ meint eine Frau, die ihr eigenes Geld verdient und sich nicht von reichen Männern abhängig macht – das schöne ist jedoch, dass es dabei bleibt. Dieses einfache Statement, dass der feministische Diskurs zu oft zum Männerhass umgedeutet und damit ins Lächerliche gestürzt hat, ziehen Deap Vally durch und präsentieren sich in den restlichen Songs als lebensbejahende Frohnaturen, die so gut sind, dass sie auch automatisch auf Augenhöhe mit den Männern der Rockmusik sind, darum müssen sie nicht streiten. Alle die es vergessen haben, werden von Deap Vally daran erinnert, dass die Gender-Debatte auch cool geführt werden kann.

Das Highlight der Platte kommt ganz zum Schluss. Das psychedelisch-gewaltvolle und irgendwie ziemlich erotische ‚Six Feet Under‘ ist so aufregend und anziehend, wie es für Kinder damals eine richtig gruselige Geisterbahn war. So wie dort weiß man bei diesem Song irgendwann nicht mehr, wo man ist und wohin es führt. Diese Band hat gerade eine längere Tour mit Thurston Moore und Dinosaur Jr. hinter sich, zu denen sie perfekt passen und wer es einrichten kann, sollte sich einen Termin auf der nächsten Tour sichern. Denn was sie auf der Platte versprechen, das übertrumpfen sie live.

Daniel Schlechter

BILL CALLAHAN – DREAM RIVER (LP)

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0781484055310_1Bill Callahan ist noch ein richtiger Kerl. Ein schweigsamer Einzelgänger, der mit der Zivilisation nie so richtig ins Reine gekommen ist. Manchmal etwas miesepetrig. Einer der viel lieber in diversen Bands Musik macht, Romane schreibt und Bilder malt als wäre er die impressionistische Reinkarnation Casper David Friedrichs. Alles ohne großen Schnick Schnack. Und groß drüber reden? Um Gottes Willen! Callahan hat sich in die Einsamkeit zurückgezogen und genießt dort die ganz einfachen Seiten des Lebens. Musikalisch könnte das verdammt kitschig ausgehen, wären da nicht sein lakonischer Humor und sein überragend raffiniertes Songwriting. ‚Dream River‘ wirkt in Zeiten der wiederbelebten, unsäglich gekünstelten Folk-Musik wie das versonnene Lächeln eines wahren Künstlers.

Es ist die vierte Platte, die der Endvierziger aus Austin, Texas, unter seinem bürgerlichen Namen veröffentlicht. Vorher war er vor allem für seinen trotzigen Lo-Fi-Rock unter dem Namen Smog bekannt. Callahan flanierte immer in der Schnittmenge mehrerer Genres, so auch auf seinem neuen Album. Es ist hörbar von Folk und Country beeinflusst, ohne aber eines von beiden zu sein. Es enthält sehr viele Rock-Elemente, ohne Rockmusik zu sein, sodass es am besten mit dem Überbegriff Americana beschrieben werden kann – dieses mysteriöse Genre, das wenn wir mal ehrlich sind, noch niemand so richtig definieren konnte.


 

Musikalisch schwelgt Bill Callahan geradezu in der freien Form. Es gibt keine Refrains, stattdessen mäandernde Songs, die sich wie der Schmetterling aus der Raupe langsam entpuppen. Dieser organische Sound klingt simpel, dahinter stecken jedoch unzählige Instrumente, die von Callahan so knapp und prägnant zum Akzentuieren der Songs genutzt werden, als wären sie nur dafür gebaut worden. Das einzig beständige ist oft nur die Jazz-Percussion, die alles zusammenhält. So genial einfach die Songs klingen, so entrückt sind sie bei genauerem Hinhören wirklich und Callahan muss sicher ein halbes Dutzend Musiker auf die Bühne bringen, um seine Songs live zu spielen.

Callahans Songwriting gleicht einem Gebirgsbach, dessen Ziel nur der Weg ist, den er sich völlig unvorhersehbar durch die Landschaft bahnt. Diese Musik versprüht den Charme seliger Einsamkeit, mit herrlichem Humor untermalt. So beschreibt Callahan in ‚The Sing‘ das Sitzen an einer Hotelbar und singt: „The only words / I said today / are ‚beer‘ / and ‚thank you‘.“ Einen Rhythmus bekommt dieser von Streichern und leiser Gitarre getragene Song zunächst nur von zwei Klanghölzern, dem einsamsten aller Instrumente, bis dann Callahans warmer Bariton einsetzt. So würde Tom Waits heute klingen, wäre er nicht so viel mit Frank Zappa auf Tour gegangen. Gemeinsam haben beide die Weisheit der Worte und die Romantik. Callahan bleibt dabei immer positiv, reißt kleine Witze und macht das melancholische Lächeln, das er im Augenwinkel trägt, auf magische Weise hörbar.

In Songs wie ‚Javelin Unlanding‘ steckt ungemein viel Poesie, die von Callahan im lockeren Plauderton vorgetragen wird. Zur freien Form seiner Musik passt seine metaphorische Offenheit, die keine manifesten Aussagen daherposaunt sondern den Zuhörer vielmehr selbst erkennen lässt, welche Weisheiten zwischen den Zeilen stecken. So beschreibt er im Song ‚Small Plane‘, einem Highlight der Platte, das Gefühl menschlicher Vertrautheit mit sehr vagen Worten und könnte den Kern dabei doch nicht besser treffen: „Sometimes you sleep / while I take us home / that’s when I know / we really have a home.“ Ganz groß.

Daniel Schlechter

DARKSIDE – PSYCHIC (LP)

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DARKSIDE_Pack_ShotNicolas Jaar ist ein musikalisches Wunderkind. Im Alter von 19 Jahren gründete er das Label Clown & Sunset und brachte mit 21 Jahren sein Debüt ‚Space Is Only Noise‘ heraus. Seine Musik vibriert zwischen Minimal Techno und einer sehr spannenden, schmutzig-dunkelen Version von Soul. Langsame Beats treffen auf dahinfließende Klanggebilde. So auch auf „Psychic“, dem Debütalbum von Darkside.

Für Darkside hat sich Jaar mit Multiinstrumentalist Dave Harrington zusammengetan. Harrington hat Jaar in den letzten Jahren als Gitarrist auf Tour begleitet. Die Proben für Jaars Konzerte sollen dabei immer häufiger in endlose Jam Sessions ausgeufert sein. Für ihr erstes Konzert sollen Darkside gerade mal 20 Minuten Material fertig gehabt haben, der Rest des einstündigen Sets wurde improvisiert. Dieses Element der Improvisation macht auch ihr Debüt ‚Psychic‘ so spannend wie ein Jazzalbum. Die acht Tracks klingen meist wie Skizzen, offen und unvorhersehbar, roh und kantig, was sie keineswegs stümperhaft (dafür sind Jaar und Harrington zu sehr Vollblutmusiker) sondern überaus charmant macht.

Der Opener ‚Golden Arrow‘ setzt sich über elf Minuten nach und nach zusammen und wirkt fast wie eine atmosphärische Einstimmung für die beiden Musiker, die ihre Instrumente zwar schon umgeschnallt  haben,  aber noch in Ruhe aufrauchen wollen. Langsam baut sich der Song auf, manche seiner  Klangspuren brechen abrupt ab während neue dazukommen. Synthesizer schwirren über ruhige Celli hinweg, ein schleppender Beat setzt ein, eine diskohafte Gitarrenmelodie gesellt sich später dazu. Bald hat der Song eine eindringliche, krautrockige Dichte erreicht, die schnell wieder aufbricht, sodass nichts zu dick aufgetragen klingt.

Dröhnen, Rauschen und Knistern sind die bindenden Elemente auf ‚Psychic‘. Fast jedes Stück beginnt und endet im weißen Rauschen. Das Album wirkt wie eine Studiosession, in der Jaar und Harrington live experimentieren und einander Soundfragmente zuwerfen. Der Track ‚Heart‘ verbindet zum Beispiel einen fast marschartigen Beat mit einer sehr erdigen Gitarre, die auch aus einem Progrock-Song stammen könnte. Dazu setzt unvermittelt das Falsett von Jaar ein, mal sehnsuchtsvoll, mal gespenstisch, immer ziemlich bluesig. Das alles steuert auf die Single ‚Paper Trails‘ hinzu, dem greifbarsten Song der Platte, der vor allem vom Zwiegespräch zwischen obskurem Gesang und pointierten Gitarrenriffs lebt.  Remixe für das Berghain gibt es schon jetzt zuhauf. In ‚The Only Shrine I’ve Seen‘ nähern sich die beiden Musiker dem Funk an, setzen mal die Gitarre, mal die Synthies nach vorn und stellen ihnen einen eingängigen Beat zur Seite, der langsam einem psychedelischen Dröhnen Platz macht.

‚Psychic‘ ist eine Schatzkammer aus Klangflächen, Soundfetzen und Effekten, die gut der Soundtrack zu einem Kurzfilm von David Lynch oder einer endlosen Autofahrt durch eine verlassene Großstadt bei Nacht sein könnte. Die Art und Weise der jazzigen Improvisation, das Zusammenspiel dieser beiden Musiker ist genreunabhängig für jeden Musiker und Musikliebhaber interessant. Trotz aller Sound-Vielfalt hat jedes Stück einen stimmigen roten Faden. Auf Darkside darf man gespannt bleiben, denn offensichtlich treffen hier sehr viel Kreativität und das nötige Know-How aufeinander.

Daniel Schlechter